Reisebericht: Rundreise durch Litauen, Lettland und Estland

21.07. – 31.07.2015, 9 Tage Rundreise durch das Baltikum mit Flug: Vilnius – Trakai – Kaunas – Klaipeda – Kurische Nehrung – Riga – Gauja Nationalpark – Tallinn


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Das Baltikum - der Name klingt nach einem vertrauten Ort, aber wie viel weiß man wirklich darüber?
Der goldene Sand der Ostseestrände, Störche und Elche, romantische Wald- und Moorlandschaften, magische Mittsommernächte, aber auch Barock, Jugendstil, Mittelalter, alte deutsche Traditionen, Sowjet-Relikte und pulsierende IT-Metropolen. All das sind Litauen, Lettland und Estland - drei kulturell einzigartige Länder, drei ganz eigene Welten, die in Ihrer Vielfalt eine Einheit bilden.
Ein Reisebericht von
Eugenie Kralyuk

1. Tag, 21.07.2015 Genius Loci Vilnius – Barockmetropole unter nordischem Himmel

Seit dem EU-Beitritt haben die Deutschen und auch andere Westeuropäer, wie Franzosen, Italiener und Spanier, das Baltikum als ein neues und anziehendes Reiseziel entdeckt. Die wachsende Attraktivität des Baltikums spiegelt sich auch in der Größe unsere Eberhard-Reisegruppe wider. Dreiunddreißig Reisende aus Dresden, Berlin, Leipzig und Frankfurt trafen sich am Frankfurter Flughafen um gemeinsam 11 spannende Urlaubstage zu verbringen. Unsere Rundreise durch das Baltikum begann in Vilnius - dem „kleinen Rom" des Nordens. Nach dem angenehmen Flug mit der Lufthansa wurden wir von unserem örtlichen Reiseleiter Rolandas und unserem Busfahrer Leonard begrüßt und herzlich empfangen. Der gebürtige Deutsche aus Memel mit mehr als 20 Jahren Erfahrung als Reiseleiter und der Busfahrer mit polnischer Abstammung sollten ein perfektes multikulturelles Team für unsere Reise bilden. So machten wir uns auf den Weg zum Hotel Congress, schön gelegen im Zentrum von Vilnius, und gönnten uns eine kleine Ruhepause. Doch bereits etwas später, am sonnigen Nachmittag beginnt unsere erste Führung mit Rolandas durch Vilnius, Litauens Hauptstadt an der Mündung des Flusses Vilnia in die Neris.
In barocken Vilnius mit seiner gemütlichen mitteleuropäischen Atmosphäre fühlen wir uns noch nicht ganz in der Fremde. Die historischen Bauten und die moderne Architektur, umgeben von einer malerischen nordischen Hügellandschaft mit Wäldern und Seen, erzeugen eine harmonische Poesie zwischen Natur und Urbanität.
Unser Stadtrundgang begann am Kathedralenplatz, an der prachtvollen weißen Kathedrale St. Stanislaus, die während der sowjetischen Zeit zu einer Gemäldegalerie umgestaltet wurde. Vom Sarbievijus-Hof, von den Jesuiten gegründet und Teil einer der ältesten Universitäten in Osteuropa, der Universität Vilnius, gelangten wir zum Präsidentenpalast. Dort erfuhren wir mehr über die Gegenwart Litauens, ihre engagierte Präsidentin Dalia Grybauskaite und die Besonderheiten der modernen litauischen Mädchennamen. In seiner Erzählung führte uns Rolandas nun weiter durch das jüdische Viertel mit mehreren schmerzhaften Erinnerungen und den Schattenseiten der Stadtgeschichte. Vilnius, Wilno, Vilne - ist und war eine vielseitige, multinationale und vielstimmige Stadt. Unter dem Namen "Wilne" war sie auch ein Zentrum des religiösen, kulturellen und politischen jüdischen Lebens und wurde als das "Jerusalem" Litauens verehrt. Durch die schmalen, an jeder Ecke mit Blumentöpfen geschmückten Gassen und vorbei an gemütlichen Cafés erreichten wir die schönste Kirche von Vilnius - die römisch-katholische Annenkirche aus dem 15. Jahrhundert, erbaut im Stil der „flammenden Gotik".
Vilnius war immer ein Ort kultureller Errungenschaften und widersprüchlicher historischer Ereignisse, weshalb hier der Geist von Freiheit und Individualität überall zu spüren ist. Am Benediktinerkloster vorbei spazierend erfuhren wir mehr über die „Singende Revolution" und die Freiheit, die sich die baltische Staaten in ihrem Befreiungskampf gegen das sowjetischen Imperium im Jahr 1991 „ersungen" haben. Der Tag endete am Hafen von Užupis bzw. der Republik Užupio. Diese Republik wurde von rebellierenden Künstlern, Träumern und Hausbesetzern ausgerufen. Der innoffizielle Staat hat eine eigene Verfassung, einen eigenen Präsident und eigene staatliche Symbole. Hier hat laut Verfassung jeder das Recht eine Katze zu lieben und einzigartig und glücklich zu sein. Die Republik Užupio ist nur ein weiteres Beispiel für die Originalität und Authentizität dieser besonderen Stadt an der Schnittstelle zwischen Nord- und Osteuropa.

2. Tag, 22.07.2015 Von Vilnius nach Trakai – zwei litauische Hauptstädte

Pünktlich um 9 Uhr traf sich unsere Gruppe nach einem reichhaltigen litauischen Frühstück vor dem Hotel, um die schöne Stadt und Umgebung von Vilnius weiter zu erkunden.
Die Geschichte von Vilnius beginnt mit dem Großfürsten Gediminas. Zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde Vilnius als „nostra regia Vilna" in einem der Briefe Gediminas aus dem Jahr 1323. Im 16 Jahrhundert war Vilnius eine der größten Städte Osteuropas und Ende der 1980er-Jahre war es Mittelpunkt der Auseinandersetzungen im Kampf um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Zum modernen Vilnius gehört die größte barocke Altstadt des Kontinents, die seit 1994 in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste eigetragen ist.
Die Entdeckungstour begann zunächst in dem ganz in weiß gehaltenen Innenraum der verzierten barocken Kirche "St. Peter und Paul". Künstler aus Mailand gestalteten die Kirche mit einem wunderschönen ornamentalen plastischen Schmuck. Die Kirche wurde am Ort einer heidnischen Kultstätte erbaut, und so spürte man an diesem sonnigen Tag auch etwas magisches und ketzerisches in der Luft unter dem weißen Gewölbe des prächtigen Bauwerkes.
Der Busfahrer Leo brachte uns anschließend zum nächsten Wahrzeichen von Vilnius, dem "Tor der Morgenröte". Ursprünglich wurde der Tor für Verteidigungszwecke benutzt, doch dann erhielt es durch ein Gemälde der Jungfrau Maria eine vorwiegend religiöse Bedeutung. Unser Weg führte uns auch zur orthodoxen Heiliggeistkirche aus dem 17 Jh. Ungewöhnlich für eine orthodoxe Kirche, aber passend zum barocken Vilnius flossen in die Gestaltung der Kirche viele Elemente aus dem Barock und Rokoko ein. Verträumt liefen wir dann an der Philharmonie von Vilnius vorbei bis zum zentralen Rathausplatz.
Nach einem entspannten Spaziergang durch die Stadt und einer kurzen Pause unternahmen wir den nächsten Ausflug zur malerischen Wasserburg Trakai, der ehemaligen Hauptstadt des Fürsten Gediminas, ungefähr 28 km westlich von Vilnius. Die sagenhafte Backsteinburg mit dem herrlichen Seeblick war auch das Zentrum der Karäer in Osteuropa - eines geheimnisvollen Turkvolkes, für das die jüdische Thora als die wichtigste Gesetzesquelle galt. Für die mutigen Reisenden wurden auch leckere Spezialitäten aus der Karäerküche, wie z. B. Kybynas, zur Verkostung empfohlen. Den letzten Abend in Vilnius hatten wir zur freien Verfügung um die Stadt entweder von einem gemütlichen Café aus, durch Teilnahme an einer Kulturveranstaltung oder durch die Besichtigung weiterer Sehenswürdigkeiten aus unserer eigener Perspektive heraus zu entdecken.

3.Tag, 23.07.2015 – "Lietuva"– Land des Wassers und Regens

Endlich führt uns der Weg nach Klaipeda oder Memel zum Ostseestrand und damit in die Heimat unseres lieben Reiseleiters Rolandas. Vorher besichtigen wir noch Kaunas, die zweitgrößte Stadt Litauens, die uns an diesen Tag mit regnerischem Wetter empfing. Übersetzt bedeutet Lietuva "Land des Regens", weshalb das regnerische Wetter keine Überraschung für uns war. Auf dem Weg nach Kaunas klärte uns Rolandas über die Geschichte der baltischen Länder, die Herrschaft der deutschen Ordensritter im Mittelalter sowie die Unterschiede zwischen Deutschbalten und Memeldeutschen auf.  Nachdem wir Kaunas erreicht hatten, betrachteten wir das Panorama der Stadt und rauschten mit der romantischen Standseilbahn aus der Vorkriegszeit hinunter in die regnerische Stadtmitte. Anschließend gingen wir durch die Burg, den Sommersitz der litauischen Großfürsten, und am Ufer des Neris entlang zur St. Georg-Klosterkirche. Die Altstadt von Kaunas faszinierte zudem mit zahlreichen Museen und Kunstgalerien. Das Rathaus von Kaunas ist von historischen Kirchen, wie der Franziskuskirche, dem Jesuitenkomplex, der Vytautaskirche und der Dreifaltigkeitskirche, umgeben und zudem mit einem kreativen Fahrradbaum und genauso kreativen Mülleimern ausgestattet. Anschließend flüchteten wir vor dem Regen in die Kathedrale "St. Peter und Paul" und kehrten nach der Kaffeepause durch die alten Straßen wieder zum Bus zurück.
Gegen siebzehn Uhr kamen wir dann in Klaipeda an, der einzigen Hafenstadt Litauens und dadurch ein wichtiger Knotenpunkt des Handels zwischen Litauen, Deutschland und Skandinavien. In Klaipeda waren wir im stilgerechten modernen Hotel Amberton mit herrlichem Blick auf den Hafen untergebracht. Gleich am Abend gingen wir noch durch die Stadt spazieren und besuchten mit Rolandas natürlich zuerst das Brunnendenkmal, gewidmet dem in Klaipeda geborenen Dichter Simon Dach. In der Mitte des Brunnens steht das Ännchen von Tharau und hier, inmitten der Altstadt von Klaipeda durften wir unserem Reiseleiter das alte deutsche Lied vorsingen.
Für den Tag nach unserem Besuch hatten sich in Klaipeda hunderttausende Touristen angekündigt um das jährliche Seefest zu besuchen. Während wir entspannt durch die Stadt bummelten und den angenehmen abendlichen Sonnenschein genossen, bereitete sich Klaipeda fleißig auf die Feierlichkeiten vor.

4. Tag, 24.07.2015 – Endlose Sandstrände und ein Märchenweg im Wald

Die Kurische Nehrung ist ein knapp 100 Kilometer langer schmaler Streifen würdevoller Sanddünen an der Südostküste der Ostsee zwischen Königsberg und Memel. Nicht selten wird die Nehrung als Sehnsuchtslandschaft der Deutschen beschrieben, als ein magisches Bild eines deutschen Reiches, das nicht mehr existiert.
Auf dem Weg zum Strand durch die idyllische Buchten, vorbei an einer alten Fischerkirche und dem "Toten Wald", erzählte uns Rolandas spannende Geschichten aus seiner Kindheit: von der regionalen Gewohnheit des Verzehrs geräucherten Aals, von Pilzsammlern und Wildschweinen und von der „heiligen" Ringelnatter der litauischen Heiden.
Zuerst öffnete sich vor unsere Augen eine einmalige romantische Dünenlandschaft mit einer Sonnenuhr, runenähnlichen Zeichen, einsamen und endlosen weißen Strände, einer frischen Meeresbrise und einem strahlend blauen Himmel. Hier, auf der Kurischen Nehrung, kann jeder seinen Traum verwirklichen: ein Stückchen Meer nur für sich allein zu haben. Die Entstehungsgeschichte der Nehrung ist leider weniger romantisch, doch dies ändert nichts an ihrer Schönheit. Die Kurische Nehrung entstand vor ungefähr 7000 Jahren durch Sandanspülungen. Mit der Zeit formte der Wind Sandberge, die stetig in Richtung Osten wanderten und die dort liegenden Fischerdörfer nach und nach vernichteten. Von den verschütteten Dörfern ist nur wenig oder gar nichts geblieben. So wurden z. B. die Dörfer Nida und Pillkoppen an anderer Stelle wiederaufgebaut. Rolandas spielte für uns das Gedicht "Die Frauen von Nidden" der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel vor, das den Untergang des Dorfes während der großen Pest beschriebt.
Anschließend fuhren wir weiter zu dem malerischen Ort namens Nida (Nidden) und zu einer der höchsten Dünen Europas. Hier besuchten wir das Bernsteinmuseum, den Nida Friedhof und das Thomas-Mann-Haus. Drei Sommer verbrachte der Literatur-Nobelpreisträger Anfang der dreißiger Jahre im damaligen Nida in seinem Arbeitszimmer mit fabelhaftem Blick über das Kurische Haff. Nebenbei hatten wir Gelegenheit geräucherten Fisch zu probieren und etwas über die Bedeutung der Kurenwimpel zu erfahren. Mit Hilfe dieser hölzernen Fahnen konnte man früher die gesamte Familiengeschichte der Fischer erfahren. Auf dem Rückweg durften wir wieder die regenerierende Kraft von Wind und Wasser auf dem sonnigen Strand genießen und Energie für das nächste Ausflugsziel tanken. Im Zwielicht wanderten wir noch über den Hexenberg in Schwarzort durch einen dichten Wald mit mystischen Holzskulpturen, die uns an alte Legenden und Märchen erinneten. 

5. Tag, 25.07.2015 – Symbol des Freiheitsdrangs und das baltische „Reich der Mitte"

Am fünften Tag überquerten wir die Grenze des nächsten baltischen Staates. Das Ziel war Lettland - das Land mitten im Baltikum. Wir packten unsere Koffer und freuten uns auf die Weiterreise. Gewiss haben Klaipeda und die Kurische Nehrung bei vielen Reisenden unvergesslich schöne Eindrücke hinterlassen. Vielleicht wird der ein oder andere von uns irgendwann hierher zurückkommen um die freundliche Sonne und die ruhigen Strände der Nehrung zu genießen.
Noch vor der lettischen Grenze lag unser erstes Zwischenziel: der Berg der Kreuze. Dieser Ort, unweit von Siauliai, ist ein historisches Denkmal und Nationalsymbol des Freiheitsdrangs und der Volksfrömmigkeit. Auf dem Berg sind tausende verschiedene Kreuze zu finden, die von Pilgern aus der ganzen Welt hinterlassen wurden. Der Gegend wirkt zugleich christlich, katholisch und auch heidnisch. Eine Eklektik der zahllosen Gegenstände: Kreuze aller Formen und Arten, sakrale Skulpturen, traditionelle litauische Holzfiguren, Namensschilder, Blumen, Länderflaggen und das alles umgeben von der puristischen Natur des Nordens.
Das Kreuz galt früher bei Christen aber auch bei Heiden als Symbol für Religiosität und nationale Identität. Später wurden die Kreuze auch als Symbol des Widerstands gegen die Fremdherrschaft in Litauen eingesetzt. Die ersten Kreuze auf dem Berg wurden nach den blutigen antizaristischen Aufständen im 14 Jh. errichtet. Während der sowjetischen Zeit musste man damit rechnen für das Aufstellen eines Kreuzes ins Gefängnis geschickt oder nach Sibirien deportiert zu werden. Der Berg der Kreuze wurde mindestens drei Mal zerstört, doch zog er immer mehr und mehr Pilger an, die Widerstand leisteten und neue Kreuzer aufstellten. Auch Papst Johannes Paul II. feierte hier eine Messe und sandte später ein päpstliches Kreuz. Der Berg der Kreuze kann verschiedene Gefühle hervorrufen: ein vergessener Friedhof des Leidens und zugleich eine Oase der Hoffnung inmitten der einsamen Landschaft. Begleitet von der melancholischen Musik eines Straßenmusikanten und hunderten italienischer, spanischer und polnischer Besucher gingen wir zum Berg und errichteten sogar unser eigenes Holzkreuz zu Erinnerung. Danach fuhren wir weiter über das Land und über die Grenze nach Lettland, genossen schöne traditionelle Musik und Rolandas spannende Erzählungen über die lettischen Geschichte, Religion, ethnische Struktur, Geographie sowie die heutige Agrar-, Energie- und Flüchtlingspolitik. Am Nachmittag erreichten wir die Hauptstadt Riga und das Hotel Bellevue. Anschließend blieb noch genügend Zeit, um zumindest einen kleinen eigenen Eindruck von der Stadt zu bekommen bevor es am nächsten Tag mit einer ausführlichen Stadtführung weiterging.

6. Tag, 26.07.2015 – Die Jugendstilhochburg Riga und das russische Saint–Tropez des Baltikums in Jurmala

Als wir über die Brücke in die Stadt fuhren sahen wir an diesem wunderschönen Morgen noch einmal das Altstadtpanorama und den Fluss Daugava, der Riga in zwei Teile trennt - die historische Altstadt und die Zentralstadt Pardaugava. Die Daugava fließt durch Russland, Weißrussland und Lettland, wo sie schließlich in die Rigaer Bucht mündet. Ihre Quelle hat der längste lettische Fluss in Russland und nicht zuletzt wird Riga aufgrund des hohen russischen Bevölkerungsanteils von 40% als die größte russische Stadt Lettlands und des ganzen Baltikums bezeichnet. Die Letten sind die Minderheit in ihrer Landeshauptstadt und Riga war eigentlich nie eine „lettische" Stadt. Gegründet durch den deutschen Bischof Albert von Buxhoeveden als Stützpunkt des Schwertbrüderordens wurde Riga zunächst von Schweden und später von Russland erobert und während des zweiten Weltkriegs vom Deutschen Reich okkupiert.
Die Erkundung der kosmopolitischen Vergangenheit der Hansestadt Riga begannen wir in ihrer schönsten Gegend, dem Jugendstilviertel. In Riga sind noch mehr als 750 Gebäude im dekorativen Jugendstil, im Jugendstil mit klassischen Elementen oder dem sogenannten nationalen Romantizismus zu finden. Die Grazie und Vielfalt der Jugendstilhäuser in Riga, dieser poetische Ausdruck der Belle Époque und des Fin de Siècle im Norden Europas, lässt sich kaum mit anderen Städten vergleichen.
Begeistert verließen wir den Alberta iela, eine der wichtigsten Jugendstilstraßen und fuhren weiter in die Altstadt. Dort besichtigten wir zusammen mit Rolandas die Hauptattraktionen, z. B. das Schwarzhäupterhaus und das Schwabenhaus, gingen an der St. Petri-Kirche vorbei zur Nationaloper und über den Park zum Freiheitsdenkmal, zum Pulverturm und Schwedentor, den Gildehäusern sowie zum Katzenhaus und Domplatz. Nach einem reichhaltigen Mittagessen mit einem traditionellen lettischen Buffet im Restaurant Lido brachen wir in Richtung Jurmala auf um wieder die baltische Sonne am Strand zu genießen.
Jurmala ist eine Art baltische Riviera: teure kitschige Villen von reichen Russen, sowjetische Kurhäuser und der verfallene Glanz der Bäderarchitektur längst vergangener Zeiten. Das Badeparadies von Jurmala erstreckt sich über 32 km und umfasst 14 Gemeinden. Jurmala ist auch ein Ort wo man kaum lettisch auf den Straßen hört und wo der Einfluss der russischen Kultur sehr ausgeprägt ist. Die Russen waren schon seit den Napoleonischen Kriegen hier, entsandt von der zaristischen Armee. Zu kommunistischen Zeiten war Jurmala zusammen mit Sotchi und Jalta einer der wichtigsten Kurorte der Sowjetunion. Oft wird Jurmala auch als Saint-Tropez für reiche Russen bezeichnet, die hier eine europäische Freiheit genießen können. Jährlich fand in hier das bedeutende Popmusikfestival „Novaya volna" (deutsch. Neue Welle) für Teilnehmer vorwiegend aus den ehemaligen Sowjetrepubliken statt. Im Jahre 2015 wird das Festival „Neue Welle" aufgrund eines Einreiseverbots für einige russische Stars nicht mehr in Jurmala stattfinden. Stattdessen wurde ein neues Musikfestival mit Künstlern aus ganz Europa angekündigt, das hoffentlich diesem wunderschönen Badeort einen frischen Wind der Veränderung bringt.

7. Tag, 27.07.2015 – Großzügige Geschenke der russischen Zarin

Der Tag schickte sich an zugleich spannend und erholsam zu werden. Zusammen mit unserem Reisführer Rolandas wollten wir vor die prächtigen Schlösser und Höfe rund um Riga besuchen. Unsere erstes Ziel war ein im klassizistischen Stil erbautes Herrenhaus: Mežotne Palace, dass Charlotte von Lieven, einer Erzieherin der Enkelkinder von Katharina II, geschenkt wurde. Vor dem Krieg gab es auf dem Territorium von Lettland und Estland ungefähr 1400 Herrenhäuser von Deutschbalten. Nach dem Krieg sind nur 500 davon erhalten geblieben. Heutzutage befinden sich ca. 300 aufwändig restaurierte Häuser zum Teil auch im Besitz von Familien aus Westdeutschland oder werden finanziell von Nachkommen der deutschen Adligen unterstützt mit dem Ziel diese wertvollen Kulturgüter der Deutschbalten zu bewahren. Die meisten Herrenhäuser wurden von Investoren zu noblen Hotels umgestaltet.
Ebenfalls eng verbunden mit dem russischen Zarenhaus ist die Geschichte des nur wenige Kilometer entfernten Schlosses Rundale. Auf Wunsch der Zarin Anna Iwanowna wurde der Grundstein für den Bau der Sommerresidenz des Herzogs Ernst Johann Biron im Jahre 1736 gelegt. Zum Architekten des glanzvollsten Barockschlosses des Baltikums wurde Rastrelli ernannt, nach dessen Plänen auch das berühmte Winterpalais in St. Petersburg entstand. Wir gingen durch die alten geräumigen Zimmer des dreiflügligen Komplexes und genossen den Blick auf die kunsthistorische Artefakte, u. a. eine ausgezeichnete Porzellansammlung, und beendeten unseren Rundgang im Königlichen Garten nach Versailler Vorbild. Auf dem Dach des kaiserlich wirkenden Schlosses befanden sich mehrere Storchennester, die den Eindruck erweckten, dass wir nicht einen Palast, sondern ein bescheidenes Haus auf dem Land besichtigten. Wegjagen darf man diese Vögel nicht, da sie in Lettland als Glücksbringer gelten. Das Flair des Lebens auf dem Lande genossen wir noch abschließend im gemütlichen, liebevoll mit bäuerlichen Antiquitäten ausgeschmückten Restaurant „Balta Maja".

8. Tag, 28.07.2015 – „Lettische Schweiz" und Sommerhauptstadt Estlands

Es war die Zeit gekommen Riga zu verlassen und weiter in den hohen Norden zu reisen. Auf unserem Wege lagen mehrere interessante Ortschaften, vom Nationalpark Gauja bis zum berühmten estnischen Pärnu (Pernau).
Als erstes erreichten wir Sigulda, das Tor zum Gauja-Park, der mit seinen romantischen Wanderpfaden und alte Schlössern oft als „lettische Schweiz" bezeichnet wird. Gleich am Wasserfall vor der Gutmannhöhle mit Wandgemälden aus dem 16 Jh. lauschten wir der Musik eines Flötenspielers. Danach gelangten wir in das Museumsreservat Turaida mit seinem mittelalterlichen Schloss aus dem 13 Jh. und genossen vom Schlossturm aus den fabelhaften Ausblick auf die wunderschöne Naturlandschaft mit ihren Kiefernwäldern. Nach der Besichtigung der alten Holzkirche erzählte uns Rolandas die traurige Liebesgeschichte der Rose von Turaida. Jetzt ging es aber auf nach Estland - in die fremde Welt des ein bisschen anderen Baltikums: ein Paradies für Naturfreunde und mit Tallinn eine der spannendsten Städte des Kontinents. Bevor wir uns am Abend im luxuriösen Hotel Euroopa mit Blick auf den Tallinner Yachthafen niederließen, fuhren wir noch in den bedeutendsten Badeort und die Sommerhauptstadt Estlands - Pärnu.

9. Tag, 29.07.2015 – Tallinns Kontraste

Estland selbst und seine Hauptstadt Tallin sind Orte der Kontraste. So viel unberührte Natur findet man kaum noch irgendwo in Europa, zugleich befindet sich Estland an der Spitze der technologischen Entwicklung: egal ob im Wald oder in der Straßenbahn - überall gibt es eine Internetverbindung. Der berühmte estnische WLAN-Revolutionär Veljo Haamer sagte einmal: "Ein Onlinezugang ist heute wie eine Strom- oder Wasserleitung - ein Grundrecht."
Fleißig, effizient und kreativ sind die Esten, die in der sowjetischen Zeit gelernt haben mit wenigen Mitteln möglich viel zu erreichen. Hier in der IT-Metropole Europas wurde Skype erfunden und in jeder Woche entstehen mindestens 20 neue Start-Ups. Die sowjetische Etappe in der Geschichte liegt schon längst in der Vergangenheit. Nur Lasnamäe, eine sowjetische Mustersiedlung, in der heutzutage fast 70 Prozent der russischstämmigen Esten wohnen, hat sich kaum verändert und kann der raschen Dynamik der modernen und wachsenden Stadt Tallinn kaum folgen. Die Altstadt Tallinns wirkt ebenfalls wie ein stehengebliebenes Märchen. Das alte Reval, niederdeutsch ursprünglich auch Rewel oder Raeval. Hier feiert das Stadtmarketing einen großen Erfolg und unterhält nach Tallinn kommende Touristen mit allen möglichen Attraktionen aus dem Mittelalter: Kostüme, Speisen, Künste, Zünfte und vieles mehr. Die wunderschöne Stadt ist nun zu einem Besuchermagneten geworden. Die perfekt restaurierten Häuser gehören seit 1997 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Jenseits der Altstadtmauer befindet sich hingegen das wahre, neue und sich ständig wandelnde Tallinn.
Unsere Stadtführung mit Rolandas begann zunächst auf dem berühmten Sängerfeld. Der Weg führte dann in die Altstadt zum Domberg und dem alten Gebäude des modernsten Parlaments der Welt, das heutzutage online gewählt wird. Gegenüber dem Parlament befindet sich die russische Alexander-Newskij-Kathedrale, eine gewaltige Machtrepräsentation der Sowjetunion aus der Zeit der Russifizierungswelle zwischen 1894 und 1900. Wir rauschten weiter mit den Touristenströmen zur Marienkirche aus dem 13. Jahrhundert. In der Kirche fanden wir 107 alte Adelswappen und konnten von den Aussichtsplattformen das faszinierende Altstadtpanoroma betrachten. Auf dem Wege in die Unterstadt erinnerten uns die alten Namen der Wehrtürme der Stadtmauer wie „Kieck in de Kök" an die Präsenz des Deutschritterordens in Estland. Anschließend kamen wir zum lebendigen Rathausplatz mit seinem gotischen Rathaus und seiner Wetterfahne "Alter Thomas". Jetzt war es Zeit diese wunderschöne Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Am Abend konnten wir dann wieder das Miteinander im beliebtesten mittelalterlichen Restaurant der Stadt, „Olde Hansa", genießen.
Als ich im Abendrot die bunten Lichter des Tallinner Hafens vom Hotelfenster betrachtete, dachte ich: Vielleicht ist diese hypervernetzte Metropole, die aber Ihre Charme der Vergangenheit ausgezeichnet vermarktet, ein gutes Beispiel dafür wie man auch in anderen historischen europäischen Städte in der Zukunft leben könnte.

10. Tag, 30.07.2015 – Im Reich der Wälder und Moore

Der Wald ist das echte „Haus" für Esten, nicht die Stadt. Dieser Meinung war unserer Reiseführer für den Besuch im Lahemaa-Nationalpark, der Kunsthistoriker Eduard. Lahemaa - das „Land der Buchten" liegt im Nordosten Estlands und ist der schönste der estnischen Nationalparks. Die Städte sind den Esten irgendwie zu „russisch" und hier, inmitten der unberührten Natur, fühlt man sich als Este vertraut und sicher.
Auf dem Weg nach Lahemaa erzählte uns Eduard viel über die moderne estnische Architektur, über den Funktionalismus und die Besonderheiten des estnischen Charakters. Zuerst stiegen wir aus dem Bus und unternahmen eine Wanderung durch das Hochmoor „Viru Raba". Moore sind Orte der Ruhe und auch für uns eine angenehmer Zuflucht aus der Hektik des Alltags. Danach ging es zu dem malerischen Gutshof Palmse einer deutsch-baltischen Adelsfamilie und anschließend in das träumerischen Fischerdorf „Atja". Dort erwischte uns ein leichter Regen und unter dem Dach einer alte Hütte suchten wir Unterschlupf. Dort wurden wir von Eberhardt Reisen zur Verkostung des lettischen Kräuterlikörs "Black Balsam" eingeladen, mitgebracht aus Riga, und konnten in Puderzucker eingelegte Preiselbeeren aus dem Nationalpark Gauja genießen. Nach diesem kleinen Aperitif gingen wir zu einer authentischen Bauernschränke und fanden dort ein traditionelles Essen und eine großzügige Fischauswahl. Anschließend führte uns unsere Reise wieder in die Stadt zurück - in das rauschende Leben in der Metropole des Baltikums.

11. Tag, 31.07.2015 – Der entspannteste Flughafen Europas

Vor unserem Abflug konnten wir noch einmal das schöne Wetter im Tallinner Hafen gegenüber dem Hotel genießen, einen entspannten Spaziergang unternehmen oder uns ein Glass Sekt zum Abschied aus dem Baltikum gönnen.
Gegen Mittag brachte uns unserer Busfahrer Leo zum Flughafen, wo wir uns von ihm und unserem allerbesten Reiseführer Rolandas verabschiedeten. Ohne Rolandas und das gesamte Team hätte unsere Reise niemals so bunt, lustig und informativ sein können. Es war eine wahre Freunde sich mit Rolandas zu unterhalten und seine Gesellschaft während der Reise genießen.
Das Tallinner Flughafen ist sicher einer der entspanntesten in Europa: sehr klein, mit gemütlichen Cafés, kreativ und zugleich hochmodern ausgestattet. Hier gönnten wir uns unser letztes Käffchen im Baltikum, gingen noch ein paar Souvenirs kaufen und warten auf unseren Flug.
Wir haben eine sehr lange Reise hinter uns: der Barockstil von Vilnius, der Jugendstil und die Backsteingotik Rigas, das Mittelalter und die beeindruckende Moderne in Tallinn, endlose baltische Strände und estnische Wälder und Moore.
Gibt es andere Regionen in Europa in denen auf so kleinem Raum so viele unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen? So viele Unterschiede, aber vermutlich auch Gemeinsamkeiten? Vielleicht vereint die Völker des Baltikums ihr permanentes Streben nach Freiheit in jeglicher Form und Art: egal ob in der Politik, Religion, Wirtschaft, Kunst oder Technik. Das Freiheitsgefühl geht im Baltikum über die Grenzen hinaus und verbindet die hier lebenden Menschen. Das berühmte historische Beispiel hierfür ist die größte Menschenkette der Welt von Vilnius in Litauen über Riga in Lettland bis nach Tallinn in Estland, gebildet von einer Million Esten, Letten und Litauern im Jahr 1989 um endlich ihre Freiheit zu feiern.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Eberhardt und bei Ihnen, liebe Reisegäste, für diese ausgezeichnete Möglichkeit, gemeinsam die Vielfalt des Baltikums kennenzulernen, und wünsche Ihnen ganz viel Freunde auf Ihren weiteren Reisen mit Eberhardt TRAVEL!

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