Reisebericht: Singlereise Frankreich – Wandern in der Bretagne

17.08. – 27.08.2024, 11 Tage Rundreise für Singles mit Wanderungen – Vannes – Carnac – Concarneau – Atlantik – Pointe du Raz – Quimper – Halbinsel Penmarch – Lannion – Ploumanach – Cancale – St. Malo – Mont–Saint–Michel (57 Wanderkilometer)


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Die lange Anfahrt mit dem 5-Sterne-Bus, begonnen in Dresden, bringt uns über 1500 km nach Westen in eine Gegend voller Licht, mit bizarren Meeresstränden und Zeugnissen steinzeitlichen und keltischen Erbes. Hier werden wir wandern, am Strand, an der Steilküste, im Wald.
Ein Reisebericht von
Lutz Finkler
Lutz Finkler

bis Troyes

Von Troyes nach Vannes

Troyes am Oberlauf der Seine ist eine Stadt mit ca. 60.000 Einwohnern. Mit ihren Kirchen, dem Stadtbild und der großen Zahl von Fachwerkhäusern ist sie vielleicht die schönste Stadt der Champagne. Vom einstigen Reichtum zeugen zahlreiche Stadtpaläste („Hotels“), die in ihrer Mehrzahl nach dem Stadtbrand von 1524 entstanden. Wir gehen von der Kirche Ste. Madeleine mit ihrem hübschen kleinen Gärtchen zum Hotel de Marisy mit dem interessanten Innenhof und zum Hotel Juvenal des Ursins. Unweit das Maison d’Orfèvre (Goldschmied) mit seinem mittelalterlichen Turm, alles inmitten der von Fachwerk geprägten Straßen. Am Platz des barocken Rathauses vorbei geht es östlich zur Basilika St.Urbain (1262 begonnen, vollendet erst im 20.Jh.). Mit dem Hotel Dieu-le-Conte und dem Anwesen Petit Louvre, ebenfalls mit mittelalterlichen Turm, haben wir die von Seine und Kanal begrenzte Dominsel im Osten der Altstadt betreten. Zentrales Gebäude hier ist die berühmte Kathedrale St.Pierre et Paul, die zu den herausragenden Kathedralen Frankreichs gehört. Erstmals begegnen wir der französischen Gotik, deren Ziel es war, die Wände soweit wie möglich aufzulösen, um durch große Fensterflächen das Licht, Symbol des heiligen Geistes, hereinzulassen.

Dann geht es weitere 600 km nach Westen. Am Abend erreichen wir Vannes und damit die Bretagne.

Bretagne
Die Bretagne, südwestlich an die Normandie anschließend und wie ein Horn aus dem französischen Geografiekörper hervorstehend, ist mit 27.000 qkm etwa 1 ½ Mal so groß wie Sachsen. Es gibt 4 Departments: die Cote d’Armor mit St.Brieuc (22), Finisterre (Brest, 29), Morbihan (Vannes, 56) und Ille-et-Villaine (Rennes, 35). Das historisch zur Bretagne gehörende Departement Loire-Atlantique (44) mit der Hauptstadt Nantes wurde 1960 politisch abgespalten. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 104/qkm. Die Bretagne ist die ertragreichste Region für Gemüse (z.B. kommen 87 Prozent der frz. Artischocken von hier), Geflügel und Meeresfrüchte. Wirtschaftlich spielt der Tourismus eine große Rolle- die Region ist die am zweithäufigsten besuchte.
150 x 250 km Fläche werden von 1200 km Küste umrandet, deren Schärfe von der Eiszeit geformt wurde. Je nach Messung kommt man auch auf 2.500 km. Im Ärmelkanal im Norden und dem Atlantik im Süden gibt es 800 Inseln, von denen die meisten unbewohnt sind. Nirgends außer in Japan finden sich solche Tide-Rekorde wie hier, der Unterschied kann bis zu 14 m betragen. Gneis, Sandstein und Schiefer finden sich auch in den Bauwerken wieder. Die höchste Erhebung beträgt lediglich 384 m. Das war vor 300 Mio. Jahren anders, da gab es Gipfel bis zu 4000m Höhe, das Armorikanische Gebirge. Das Klima ist mild im Winter (6-8- Grad), die Durchschnittstemperatur im Sommer liegt zwischen 16 und 18 Grad, und es gibt viel Sonne (2200 Stunden/Jahr).
In geschichtlicher Frühzeit war die Bretagne von Wald bedeckt. Heute findet er sich nur noch auf 5 Prozent der Fläche – ein Tiefstand im französischen Vergleich-, was u.a. an Abholzungen für den Schiffbau liegt. Die Landschaft nennt man Bocage: grün, viele bewachsene Steinwälle, reich an Einzelbäumen.
Die Bretonen sind Nachfahren von keltischen Einwanderern von den britischen Inseln und Irland. Sie brachten die keltische Sprache mit, auf der das Bretonische basiert und das man heute wieder studieren kann. ¼ der ländlichen Bevölkerung sprach vor 25 Jahren noch Bretonisch. Irish Pubs gibt es überall. Heute sind die Bretonen streng katholisch. Es gibt eine rekordverdächtige Anzahl bretonischer Heiliger. Die Vorurteile der Pariser über die Bretonen: sie sind Raufbolde wie Asterix und Obelix, haben das Herz auf dem rechten Fleck – die Deutschen kennen so etwas von den Ostfriesen oder Bayern. Die Bretonen gelten als gastfreundlich. Viele Fremde renovieren die Häuser derer, die Teil der Landflucht wurden.
Wie man Klischees über Bevölkerungen beurteilen sollte, sei jedem selbst überlassen. Auch im Falle des Satzes: „Bretonen trinken so viel, wie es regnet“. Es besteht die Vermutung, dass viele von ihnen so leben wie Europäer anderswo auch und auch die gleichen Ziele und Alltage haben.
Niemand stellt sich die Bretagne ohne ihre Megalithkultur vor. Ihre imposanten Steinreihen und-anhäufungen (Menhire und Dolmen) lernen wir natürlich an ausgewählten Beispielen kennen. Sie entstanden 4000 – 2000 vor unserer Zeitrechnung und gehören somit der Jungsteinzeit an. Damals sollen hier 100.000 Menschen gelebt haben. Von denen weiß man aber trotz ihrer vielen steinernen Zeugnisse wenig. Es ist zu vermuten, dass diese mit Astrologie, Sonnenkult, Begräbnis- und Fruchtbarkeitsriten zu tun haben. Die Intensität, die sie ausstrahlen, ist nicht zu verkennen und lässt einiges an gestalterischer Kraft vermuten.
Die Kelten kamen wie gesagt aus dem Norden, etwa 600 v.Chr. Sie nannten die Halbinsel Amorika (das Land am Meer; der Name ist ja auch der eines Departements). Vorherrschend waren jetzt Naturreligionen. Quellen und Wälder waren Heiligtümer, gehütet von Priestern, die Druiden genannt wurden. Dieses keltische Erbe zieht auf beiden Seiten des Ärmelkanals auch heute zahlreiche Esoteriker an.
56 v.Chr. schlug Caesar die einheimischen Veneter am Golf von Morbihan, womit eine 500jährige Zeit römischer Kontrolle begann. An den Schnittstellen von Überlandstraßen entstanden Städte. Um 480 verdrängten angelsächsische Stämme die noch ansässigen Kelten von der Insel, diese wichen in die Bretagne aus. Da sie bereits Anhänger des christlichen Glaubens waren, beeinflussten sie die seit 1000 Jahren in der Bretagne lebenden Kelten in diesem Sinne. Nach keltischen Missionaren benannt sind St. Malo, St.Pol, St. Brieuc.
Keltischen Ursprungs ist die Artussage, auch Tristan und Isolde.
Die Geschichte der Bretagne im Hochmittelalter ähnelt der normannischen. 939 übernahmen die Normannen die Herrschaft, im 12. Jh. die englischen Plantagenets. Das Herzogtum Bretagne erlebte im 14. und 15.Jh. ein goldenes Zeitalter. Residenz war die Burg von Nantes, Krönungsort Rennes. Mit einer Niederlage gegen den französischen König endete die bretonische Souveränität. Herzogin Anna, „la petite brette“, musste 1491 den französischen König ehelichen und nach dessen Tod seinen Nachfolger Ludwig XII. Die Tochter Claude musste Franz I heiraten. So wurde durch Zwang die Bretagne französisch, blieb aber als Herzogtum privilegiert.
Auch in den folgenden Jahrhunderten gab es immer wieder Revolten gegen die französische Krone. Die 1598 proklamierte Glaubensfreiheit für Hugenotten und deren Widerruf 1685 durch Ludwig XIV hinterließ auch in der Bretagne wirtschaftlichen Schaden.
Die Eröffnung des Kanals von Nantes nach Brest, geografisch wie ein Rückgrat durch das Land verlaufend, brachte im 19.Jh. wirtschaftlichen Schub und auch der Tourismus begann in jener Zeit.
Nach den Zerstörungen des 2.Weltkrieges (St.Malo, Brest, Lorient, St.Nazaire) gab es ab den 1960er Jahren einen wirtschaftlichen Neubeginn (Citroen in Rennes, Gezeitenkraftwerk Rance). 1965 wurde Bretonisch zur Abiturprüfung zugelassen, trotzdem gab es schon nach dem 1.Weltkrieg und dann besonders in den 1970er Jahren starke separatistische Bewegungen, außerdem immer wieder Proteste der Fischer, denen z.B. 1994 das Parlament in Rennes zum Opfer fiel.
In neuerer Zeit gab es zwei verheerende Ölpeste, 1978 durch die Amoco Cadiz und 1999 durch die Erika. Die Exzesse des Atomzeitalters aber milderten sich: an der Pointe du Raz war ein Atomkraftwerk geplant!


Vannes und der Wald von Broceliande

Vannes mit seinen 60.000 Einwohnern ist die Hauptstadt des Morbihan (keltisch: Kleines Meer= Golf von Morbihan).
Die Altstadt mit schönen Ecken beginnt man im Süden an der Place Gambetta, im Rücken den kleinen Hafen. Man geht durch die Porte St.Vincent und die Marktstraße Poissonnerie bis zum Altstadtplatz des Lices. Im Osten der Altstadt findet sich die ortsbildprägende Stadtmauer mit der Tour du Connétable, weiter nördlich mit der Porte Prison aus dem 13.Jh. und den nahen Waschhäusern. Das Chateau-Gaillard wird nach Renovierung archälologisches Museum. Der Park im französischen Stil, mit dem die Stadtmauer inszeniert wird, wurde in seiner heutigen Form erst in jüngerer Zeit angelegt. In der Rue des Halles befindet sich das Maison de Vannes mit viel fotografierten Holzfiguren. Fachwerk gibt es auch an der Place Henri IV und St. Pierre. Schließlich steht da die Kathedrale, die alles vom 12. bis 19. Jh. vereint, und gegenüber die Markthalle La Cohne.


Der Foret de Brocéliande ist heute noch 12000 ha groß – ein kläglicher Überrest dessen, was Lancelot und Merlin, sollte es sie denn gegeben haben, gesehen haben könnten. Magische Quellen und grüne Tümpel ziehen viele Menschen, auch Gralssucher, an. Die Artussage, wohl zu keltischer Zeit über den Ärmelkanal getragen, wird literarisch behandelt im 12. Jh. von Geoffrey of Monmouth und 1803, mitten in der Zeit der Romantik, von Dorothea Schlegel ins Deutsche übertragen.
Der englische König Artus verschafft sich mit Hilfe seines Ziehvaters, des Zauberers Merlin, das Schwert Excalibur. Dieses macht so mächtig, dass Feinde damit geschlagen werden können, z.B. die Sachsen. 12 Jahre geht das gut. Die Ritter der Tafelrunde, 40 an der Zahl, u.a. Iwein und Lancelot, sorgen für Ordnung im Lande. Artus Frau Guinevra hütet den Sitz Camelot. Fehlt zum Glück noch der Gral, das Gefäß, in dem Joseph von Arimathia Christi Blut auffing. Dem forscht Parzival nach.
Liebschaften und Untreue bereiten der Idylle ein Ende. Nach einer Liebelei mit Artus Frau muss Lancelot fliehen. Dazu kommt ein Umsturzversuch von Artus Neffe Mordred, bei dem Mordred getötet wird. Artus aber verliert die letzte Schlacht und begibt sich schwer verwundet nach Avalon, einer Insel im Atlantik, genannt die „Todesinsel“. Die Sage aber behauptet: eines Tages wird er von dort zurückkehren.
Lancelot wird übrigens im See von Comper in einem Kristallschloss aufgezogen, und zwar von der Fee Viviane, mit der wiederum Merlin ein romantisches Verhältnis hatte. Hier im Wald liegt auch Merlins letzte Ruhestätte (ausgeschildert), ferner die Heilige Quelle von Barenton und der „Feenspiegel“-Teich im Val sans Retour.
Eine kurze Wanderung durch den Wald führt uns zu der Quelle von Barenton. Ausgangspunkt ist eine kleine Häuseransammlung mit dem Namen „Folle Pensée“ (Verrückter Gedanke). Den Blasen im Wasser der Quelle, die bereits im 12.Jh. erwähnt wird, wird heilende Wirkung zugeschrieben, unter anderem bei Wahnsinn. Feen erscheinen denen, die Prophezeihungen suchen.
Später starten wir von der „Église du Graal“ in Tréhorenteuc eine Wanderung von 7,5 km, die uns zunächst an einem Bächlein entlang führt, das das Val sans Retour (Tal ohne Wiederkehr) formt. Hier befindet sich der „Arbre d’Or“ (der goldene Baum), der uns tatsächlich mit Goldfarbe angestrichen entgegen leuchtet, und der See „Feenspiegel“, in dem Morgane, eine aus Cornwall stammende Prinzessin, Halbschwester von Artus und Schülerin Merlins, ihr Unwesen trieb (treibt?). Die von ihr gefangen gehaltenen untreuen Ritter wurden von Lancelot befreit, der dazu ein ganzes Arsenal an Sinnestäuschungen überwinden musste. Später geht es aus dem romantischen Tal heraus und man muss die Zeugnisse großer Waldbrände zur Kenntnis nehmen. Überraschend taucht das imposante Wasserschloss Trécesson auf.


Carnac, Locmariaquer, Kerzerho

In Carnac ist alles auf die Eigenschaft als „Hauptstadt der Megalithkultur“ ausgerichtet. 7000 Jahre alte Dolmen und Menhire gaben der ganzen Küste Cote des Megalithes den Namen.
Menhire nennt man die hoch aufragenden Einzelstücke (es gibt in der Bretagne insgesamt 5000), Dolmen sind Ganggräber aus geschichteten Steinen (etwa 1000). Wer sie errichtet hat und was ihre Bedeutung ist, bleibt bis heute rätselhaft. Reliefs von Schlangen, konzentrischen Kreisen, Krummstäben, Dolchen und Beilen sind an einigen festzustellen. Kaum jemanden lassen diese Monumente unbeeindruckt, gerade auch, weil sie zumeist, besonders in Carnac, durch ihre ungeheure Anzahl wirken.
An den Alignements (Steinreihen) de Ménec, am Infozentrum, beginnt unser Rundgang. 1050 Menhire in 11 Reihen mit O-W-Ausrichtung gibt es hier. Es schließen sich die Steinfelder Kermario (1029 Steine in 10 Reihen) und Kerleskan (555 Steine in 13 Reihen) an, insgesamt auf einer Länge von 4 Kilometern und einer Fläche von 40 Hektar. Wir gehen nicht den ganzen Weg, sondern biegen ab zum Tumulus St. Michel, einer jungsteinzeitlichen Grabstätte von der Höhe eines kleinen Berges, von dem man eine hervorragende Aussicht hat. Es handelt sich hier um den wahrscheinlich größten Grabhügel Kontinentaleuropas. Immer auch werden wir begleitet von einer atemberaubenden Vegetation...die Spazierwege durch die Steinzeugnisse sind auch grandiose Landschaftsinszenierungen.
Hinter dem kleinen Ort Crocuno steigen wir später nochmals aus für eine kleine Wanderung entlang gleich mehrerer Dolmen, bis zu den Alignements de Kerzerho, weiteren Steinreihen. Die größten Menhire ragen 6 m auf.
Dazwischen besuchen wir Locmariaquer, wo man in einem Museumskontext drei der imposantesten Steinsetzungen finden kann: den Dolmen Table des Marchands (Tisch der Kaufleute), den Grand Menhir Brisé, einen in vier Teile zerbrochenen Monolith von 20 m Länge und 280 Tonnen Gewicht, sowie den Grabhügel Tumulus Er Grah. Nirgends kann man besser nachvollziehen, wie steinzeitliche Grabstätten hier aussahen.


Tronoen, Eckmühl, Concarneau

An der Kapelle Notre Dame de Tronoen, die mit ihrem spitzen Turm noch weithin zu sehen sein wird, beginnt unsere Wanderung in den Dünen am Strand von Penmarc’h bis zum Leuchtturm von Eckmühl. Spektakulär ist der Calvaire neben der Kirche, ein Sockel mit Szenen der Passion Christi, wahrscheinlich schon aus dem 15.Jh. und damit der älteste der Gegend. Teils von der Seeluft schwer zerfressen, zeigen die zahlreichen Figuren u.a. eine gar nicht schamhafte Maria mit entblößter Brust. Die Pointe de la Torche („Fackelspitze“) ragt ins Meer hinein und beherbergt sowohl eine keltische Grablege wie einen deutschen Bunker. Immer weiter kommt man an die Bauten der Zivilisation heran, an weiße Häuser, die mit der rauhen Küste wie zusammengewachsen erscheinen, an den Hafen von Guénolé mit seinen Sardinenfabriken, an die Kirche Notre-Dame-de-la-Joie, schließlich an den Phare d’Eckmühl, den 65 m hohen Leuchtturm von 1897, den die Marquise von Bloqueville zum Gedenken an ihren Vater, den Fürst von Eckmühl aus Bayern, finanziert hat.

Concarneau
Man muss auf den Stadtmauern gehen. Die Ville Close mit Ursprung im 15.Jh. ist die beeindruckende kleine Festungsstadt, die Vauban, der Festungsbaumeister Ludwigs XIV, mit einer gigantischen barocken Verteidigungsanlage versehen hat. Am Belfried am Eingang zur Ville Close befindet sich eine sehenswerte Sonnenuhr. Man hat auch einen guten Blick auf die Hafenpromenade, wo sich das L’Amiral, das Lieblingslokal des Fernsehkommissars Dupin befindet.


Pointe du Raz und Locronan

Von dem Kirchlein Notre Dame du Bon Voyage nahe Plogoff startet eine der bemerkenswertesten Wanderungen auf dieser Reise. Rund 12 Kilometer sind es auf einem Weg entlang der Steilküste bis zur Pointe du Raz (raz ist bretonisch und bedeutet „rasen“, Bezug ist die schnelle Meeresströmung). Das französische „land’s end“ ist ein wildes Kap von 72 m Höhe über dem Meer. Hier führen über schroffe Klippen in einem leichten Auf und Ab die Fernwanderwege E5 und GR 34 herum. Durch Heide und Strandnelken kommt man zunächst zu einer kleinen Boots-Slipanlage, die sich für eine Rast anbietet. Am Kap selbst wimmelt es dann wieder von Kurzzeitbesuchern, die vom Besucherzentrum im Sommer mit einem Pendelbus zum Signalturm gelangen können. Seit einiger Zeit ist hier eine „Grand Site National“ mit besonderem Schutz. Dem musste ein Brei von etlichen Boutiquen und Hotels weichen, leider 1996 auch das kleine Hotel d’Iroise der Mme Le Coz von 1950, was einigen Wirbel in der Presse verursachte. Man bedenke, dass in der Nähe einmal ein Atomkraftwerk entstehen sollte!

Locronan ist ein überaus malerischer kleiner Ort aus grauen Granitbauten, der Platz vor der Kirche städtebaulich sehr gelungen. Hier drehte Polanski seinen Film „Tess“ mit Nastassja Kinski in der Hauptrolle.


Von Quimper bis zur Ile Grande und nach Lannion

Quimper
Der Name der 60.000 Einwohner zählenden Stadt leitet sich vom bretonischen „kemper“ ab, was „Zusammenfluss“ bedeutet. Es fließen hier die Steir und der Odet zusammen. Die Cornouaille, grünster Landstrich der Bretagne mit Blumen und Palmen, heißt auf Englisch „Cornwall“ und verdeutlicht auch sprachlich die Übereinstimmungen mit SW-England.
Am sicheren breiten Odet entstand die Hafenstadt an einem Ort unter dem Hausberg Mt. Frugy, der schon römisches Militärlager war. Quimper ist eine Bischofs- und Fachwerkstadt, die durch die bleigraue Kathedrale St. Corentin geprägt wird, deren Turmspitzen aus dem 19.Jh. stammen. Der Chor driftet leicht links ab, aus Rücksicht auf eine ältere Kapelle. Zum Odet gibt es Reste der Stadtmauern. Geprägt wird hier das Bild auch von einem Dutzend Brücken über den Fluss, die reich mit Blumen geschmückt werden. Der Bischofspalast ist seit 1911 Museum. An der Nordseite der Kathedrale gibt es das Musée des Beaux Arts von 1872. Interessant sind die Viertel um die Rue Kéréon (Fachwerk) und der Place Terre au Duc; die Rue du Sallé, die Rue des Boucheries mit der Maison des Cariatides; der Place au Beurre. Auf dem Boulevard Amiral de Kerguelen schließlich finden sich einige bemerkenswerte Gebäude der Klassischen Moderne: Kodak 1933, Citroengarage 1934, Restaurant Felle Blanche 1932. Quimper prägt sich uns auch ein durch die kenntnisreiche und humorvolle Führung von Yolande.

Ile Grande
Nach zweieinhalb Stunden Fahrt, auch durch die "Höhen" der Bretagne, erreichen wir deren Nordküste und damit den zweiten Abschnitt unserer Erkundigungen. Zunächst umwandern wir die kleine Insel. Wieder haben wir Dünen, Steinformationen und maritime Gegebenheiten, sehen aber auch eine „Allée Couverte“, ein bedecktes Langgrab aus der Jungsteinzeit. Auf der Insel verbrachte Joseph Conrad seine Flitterwochen.
Später gibt es eine Verkostung bretonischen Whiskys in Lannion.


Die rosa Granitküste

Trégastel- St.Guirec
Ein weiterer Höhepunkt dieser Reise ist die - leider durch Regen verkürzte - Wanderung von Trégastel entlang der verschlungenen Küstenlinie nach St.Guirec. Wir befinden uns an der Cote du Granit Rosé, der rosa Granitküste. Unzählige rosa Felsen, die wie zufällig ins Wasser geworfen erscheinen, säumen den Weg, ebenso teils kitschige Märchenschlösser und immer wieder Bäume in bizarren Formen, die alles wie Szenen ostasiatischer Tuschebilder erscheinen lassen. Der kleine Strand von St. Guirec bezieht seinen Namen von einem mittelalterlichen Bildstock am Strand zu Ehren des Heiligen. Hier befindet man sich bereits auf dem Zöllnerpfad.

Eine weitere längere Busfahrt bringt uns schließlich nach St.Malo.


St.Malo
Eine weitere Landmarke ist St.Malo, die graubraune Stadt in imposanter Lage, von drei Seiten vom Meer umgeben. Die Altstadt intra muros, innerhalb der dicken Mauern (auf denen man gehen sollte), wurde zu 80 Prozent im alliierten Bombenhagel zerstört. Wie Le Havre und Brest ist St. Malo ein wichtiges Zeugnis des Wiederaufbaus. 33 verlorene Gebäude wurden kopiert. Neubauten wurden im selben Material wie die Altbauten errichtet, aber die Enge der mittelalterlichen Stadt wurde vermieden. Insgesamt wirkt die Stadt kühl, aber sehr beeindruckend.
Die Burg am Stadteingang, die die „Kleine Bretonin“ bauen ließ (und zwar nicht für, sondern gegen die Stadt) ist heute Rathaus. Oben weht die bretonische Flagge mit dem Hermelin (Hermeline sollen lieber sterben, als sich zu beschmutzen), unten die französische. Überrest des Mittelalters ist auch die Kathedrale St.Vincent.

Mont St.Michel
Der weithin sichtbare Berg des Heiligen Michael mit seiner Silhouette und seinen Bauten wurde schon „Wunder des Abendlandes“ und „Leuchtturm der Christenheit“ genannt. Er ist nach dem Eiffelturm Frankreichs meistbesuchtes Denkmal und ein Höhepunkt jeder Reise in den Westen Frankreichs. Vom Andrang sollte man sich nicht schrecken lassen, sondern sich diesen in dem Ausmaß bereits im Mittelalter vorstellen, als der Mont St.Michel bereits Pilgerort war. Der Deich von 1877, der den Zugang für alle ermöglichte, wurde inzwischen aus Renaturierungsgründen weitgehend durch eine Stelzenbrücke ersetzt.
97 ha misst die Inselanlage, ab 80 m Höhe hat man den Level der Abteikirche erreicht, 157 m über dem Meer erreicht der markante Vierungsturm, der übrigens, wie auch die Michaelsskulptur darauf, aus dem 19.Jahrhundert stammt.
Für so eine imposante Anlage gibt es natürlich einen Gründungsmythos. 708 wurde Bischof Aubert von Avranches vom Erzengel Michael in einem Traum aufgefordert, auf dem Berg eine Kirche für ihn zu gründen. Der Bischof war seinen Träumen gegenüber aber skeptisch, so dass der Erzengel handgreiflich werden musste und das Haupt Auberts „berührte“. Dieses Haupt, das sich, einst zusammen mit anderen Reliquien importiert vom Monte Gargano im Süden Italiens, in Avranches befindet, zeigt eine runde Öffnung in der Schädeldecke. Diese Heiligengeschichte kann man übrigens auch als Relief beim Rundgang durch die Anlage erleben.
Der Bau der Abtei ging sehr langsam voran wegen technischer und statischer Schwierigkeiten. Immer wieder gab es Einstürze und obendrein Brände. Erst um 1150 konnte die heutige Kirche mit ihren normannisch-romanischen „fetten“ Wänden vollendet werden. Der elegante Chor, Ersatzbau für den eingestürzten Vorgänger, entstand von 1448 bis 1513, wirkt aber hoch- und nicht spätgotisch.
Steigt man auf dem Rundgang in die Räume unterhalb des Kirchenbodens ab, gelangt man in ein schwer zu fassendes Labyrinth von Räumen und Gängen. Einer dieser Räume, nicht öffentlich zugänglich, ist Notre-Dame-sous-Terre aus dem 10.Jh. und damit wohl der älteste erhaltene Teil der Anlage. Das karolingische Kirchlein ist noch im Schutz vorhandener Felsen errichtet worden, diente dann aber als Basis für die neue Kirche auf der Höhe des Granitfelsens und verschwand „sous terre“. Auch die schwer zu durchschauenden weiteren Konstrukte „unter der Erde“ dienten zur Auffüllung von Zwischenräumen. Außerdem sind sie Bestandteil der komplizierten benediktinischen Liturgie, die eine Trennung von Mönchen und Pilgern vorsah, was hier eine Verlagerung der Wege von der Horizontale in die Vertikale bedeuten musste. Längst nicht alle Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, sind geklärt. Einiges wurde zusätzlich durch Restaurierungsmaßnahmen vor 120 Jahren verklärt.
Nach zahlreichen Zerstörungen kamen im 13.Jh. durch Anstrengungen des französischen Königs Philippe Auguste, der den Gedanken unterstützte, aus dem Mont St.Michel eine französische Bastion zu machen, weitere Klosterbauten hinzu, zusammengefasst in dem Wunderwerk La Merveille: der riesige mehrgeschossige Bau im Norden der Anlage beherbergt mehrere gotische Säle, das Refektorium von 1220, und oben, als hängenden Garten, den Kreuzgang.
Im 14.Jh. und vor allem in der ersten Hälfte des 15.Jh. musste die Abtei im 100jährigen Krieg viele Angriffe der Engländer über sich ergehen lassen. Es ist die Zeit, in der die Anlage zur Festung ausgebaut wird. Mont St.Michel wird zum Symbol des Widerstandes. Die Lage im Meer und der gewaltige Tidenhub machten weder eine Belagerung zu Lande noch eine zu Wasser möglich.
Drei weitere Joche des romanischen Schiffs fielen 1776 einem Brand zum Opfer. Die heutige Plattform draußen entstand, wie auch die klassizistische Fassade, 1780. Seit der Revolution ab 1789 wurden nicht nur die Mönche vertrieben, sondern der Mont St. Michel wurde für Jahrzehnte, bis 1863, ein Gefängnis. In die Sakralbauten wurden Zwischengeschosse für die Gefangenen eingezogen. Die Anlage wurde zwar extrem heruntergewirtschaftet, durch die Nutzung aber vor einem Dasein als Steinbruch bewahrt. 1872, im Zuge des aufkommenden Denkmalgedankens, begannen erste Restaurierungsarbeiten.
Der Mont St. Michel ist also nicht nur eine außergewöhnliche Landmarke, sondern zeigt auch, das Zeugnisse des Mittelalters durch Kriege, Brände und Einstürze verändert wurden, niemals homogen sind, sondern ihre Veränderungsgeschichten selbst typisch. Vor allem das spätere 19.Jh. hat nicht nur viele mittelalterliche Zeugnisse gerettet, sondern auch idealtypisch umgestaltet, und das nicht nur in Frankreich.

Das kleine Städtchen Cancale, das sich malerisch den Berg hinaufzieht, ist das Austernzentrum Nordfrankreichs, 6000 t werden jährlich geerntet. Am Austernmarkt direkt am Hafen kann man sich auf den Treppenstufen zur Verzehrprobe niederlassen.
Die nahe Pointe du Grouin ist Ort der letzten Besichtigung eines Kaps auf dieser Reise.


Rückfahrt über Rouen nach Reims

Auf der Rückfahrt gab es noch einen Halt mit Stadtrundgang in Rouen. Rouen ist heute der fünftgrößte Hafen Frankreichs, auf der ausgebaggerten Seine können bis hier Schiffe mit bis zu 140.000 BRT fahren. In Seine-Nähe und vor allem im Industriegebiet links des Flusses gab es im 2.WK große Zerstörungen. Auch die Altstadt war betroffen, ist aber in einzigartiger Weise wieder restauriert worden.
Bereits zu keltischer Zeit gegründet, wurde der Ort von den Römern zur Planstadt ausgebaut. An der dafür typischen Kreuzung von Cardo und Decumanus, der Haupt-und Querachse, befindet sich, wie so oft in Frankreich und England, der Kathedralplatz. Von der Verwaltungsorganisation im 4.Jh. bis heute ist Rouen der Hauptort der Provinz. Seit dieser Zeit gibt es hier eine Kathedrale. Lange Zeit blühte die Stadt, was man noch heute v.a. an den fantastischen Kirchenbauten jener Zeit sehen kann.
Als im frühen 15.Jh. die Normandie von den Engländern besetzt wurde, ereignete sich die Geschichte von Jeanne d’Arc aus Lothringen, die dem späteren französischen König Karl VII gegen die mit den Engländern verbündeten Burgunder zu Hilfe kam. Sie wurde Weihnachten 1430 bei dem Versuch, das von den Burgundern besetzte Compiègne zu befreien, gefangen genommen. Eigentlich hatte sie längst „abgeschworen“, doch die Engländer kauften ihre Gegnerin für 10.000 Franken, um sie am 30.Mai 1431 auf dem alten Marktplatz hinrichten zu lassen. Sie wurde später nicht nur rehabilitiert, sondern auch heiliggesprochen. Was dieses 19jährige Mädchen angetrieben und so gestärkt hat, dass Mächtige auf sie aufmerksam wurden, ob Gott ihr befahl, - all das bleibt im mythischen Dunkel. Zahlreiche Rezeptionen dieser Geschichte gibt es im Film, Theater, in der Musik, in der Literatur und in Computerspielen.
Die Kathedrale, deren Vorgängerbau 1060 von Wilhelm dem Eroberer geweiht worden war (davon noch erhalten die Krypta und Teile des Nordturms), erhielt ihre Fassade bereits ab 1170 – damit rückt sie zeitlich in die Anfänge von Notre Dame de Paris und Chartres. 1185 wurde das romanische Schiff abgerissen, 1247 war der Bau vollendet. Nur die Querhausportale, die Rose und die Marienkapelle entstanden noch wenig später. Die Apsisfenster sind heute nicht mehr original, sondern wurden durch die der im 2.WK zerstörten Kirche St.Vincent ersetzt. Das linke Fassadentympanon aus dem 13.Jh. zeigt den Tanz der Salome, mehr akrobatisch als erotisch. Im Inneren des Baues wertvolle Gräber und das Herz des Richard Löwenherz. Zerstörungen durch Hugenotten und die Revolution machten auch vor dieser Kathedrale nicht halt. Innen erhalten aber ist eine spätgotische Treppe mit zierlichem Maßwerk. Nach einem Brand des Vorgängers entstand 1825 der gusseiserne, 151 m hohe Vierungsturm, zu seiner Zeit sehr umstritten und heute Bestandteil der faszinierenden Turmlandschaft der Stadt.
Berühmt ist die Kathedrale natürlich auch durch die insgesamt 53 Bilder, die Claude Monet zu allen Tageszeiten von ihrer Fassade gemacht hat. Er hatte sich im Hotel gegenüber eingemietet. Die meisten sind im Musée d’Orsay in Paris zu sehen, es gibt aber auch welche in Essen, N.Y., Washington, L.A. und sogar in Belgrad. Eins ist auch im sehenswerten Musée des Beaux Arts von Rouen zu sehen.
St. Maclou, dessen ganze Umgebung ein Zeugnis der Restaurierungen eines ganzen Stadtviertels ist, ist ein Paradebeispiel für den spätgotischen Flamboyant (Flammen-)-Stil. Die Kirche entstand, nachdem ein Vorgängerbau 1432 eingestürzt war, bis 1521 durch die Spenden des reichen Bürgertums. Im Tympanon sieht man das Jüngste Gericht, bemerkenswert sind die Vorhalle und die Türschnitzereien. Der 84m hohe Vierungsturm entstand 1868-71. Unweit befindet sich der Pesthof („Atrium St. Maclou“), ursprünglich war hier, außerhalb der Mauern, ein Pestfriedhof.
St.Ouen (Anduin) ist größer als die Kathedrale und geprägt durch den großartigen flamboyanten Vierungsturm von 84 m Höhe. Auch hier gab es einen romanischen Vorgängerbau. 1318 begonnen (es entstanden bald die Chorfenster), zog sich der Bau bis 1536 hin. Für die Fassade reichte es nicht mehr, sie entstand kläglich neugotisch im 19.Jh.
Gros Horloge. Die „dicke Uhr“ wurde ab 1527 errichtet. Technische Kunstwerke dieser Art waren der Stolz der Städte (vgl. Auxerre). Bildprägend ist auch der prächtige Palais de Justice mit einem spätgotischen West-und Nordflügel. Ansonsten ist der Palais aber geprägt durch einen klassizistischen Flügel (1778) und einen „spätgotischen“ Neubau.

Abends gelangen wir nach Reims, der Krönungsstadt der französischen Könige. Wie bei Troyes auf der Hinfahrt reicht es nur zu einer kleinen Stippvisite in die Stadt mit der gewltigen Kathedrale, Inbegriff der französischen Gotik und trotz Zerstörungen in den Kriegen des 20.Jahrhunderts mit Paris, Chartres und Amiens die wohl bedeutendste in Frankreich. Ihr Skulpturenprogramm - am prominentesten der lachende Engel - hat die Plastik des 13.Jahrhunderts auch weiter östlich entscheidend beeinflusst (u.a. Straßburg, Naumburg, Meißen).


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